Die Schließung der Proteinlücke als Priorität

Nur 4 % des europäischen Sojabedarfs für Futtermittel werden durch europäische Produktion gedeckt – das zeigen aktuelle Zahlen der Generaldirektion Landwirtschaft der EU-Kommission (DG AGRI, 2024). Zwar erreicht die Europäische Union insgesamt eine Eigenversorgungsquote von 76 % beim Proteinbedarf für Futtermittel, doch bei eiweißreichen Pflanzen wie Raps, Sonnenblumen oder anderen Ölsaaten ist sie weiterhin stark von Importen abhängig: Der Eigenversorgungsgrad liegt bei 72 % für Raps, 53 % für Sonnenblumen und lediglich 15 % für sonstige Ölsaaten.

Die sogenannte EU-Eiweißstrategie ist in diesem Zusammenhang ein wiederkehrendes Schlagwort – und angesichts der geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen aktueller denn je. So betonte Stephan Arens, Vorsitzender der Copa-Cogeca[1]-Arbeitsgruppe „Ölsaaten und Eiweißpflanzen“, am 19. März 2024, dass diese Strategie „so dringend wie noch nie“ sei. Auf Ebene der Mitgliedstaaten bewegt sich einiges: Österreich veröffentlichte bereits 2021 eine eigene Eiweißstrategie.

Auch die Privatwirtschaft treibt die Diversifizierung der Proteinquellen mit Nachdruck voran. So wurden weltweit bis 2023 rund 8,5 Milliarden Euro in Unternehmen investiert, die pflanzliche Proteinprodukte entwickeln – 11 % davon allein im Jahr 2023.

Wie alternative Proteine die Landwirtschaft herausfordern

Diese Entwicklungen stellen jedoch auch die konventionelle Landwirtschaft vor neue Herausforderungen: pflanzliche Proteinprodukte stehen – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – oft für eine Reduktion des Konsums tierischer Proteine. Dabei sind die Marktanteile sogenannter Ersatzprodukte in Österreich bislang gering: Milchalternativen machen rund 3 %, Fleischalternativen etwa 1 % des Marktes aus (AMA-Marketing).

Technologien wie Single Cell Protein, das durch Fermentation in Bioreaktoren hergestellt wird, gehen einen Schritt weiter und hinterfragen die klassische Rolle von Landwirten. Doch auch hier liegt großes Potenzial, insbesondere im Hinblick auf Effizienz und Qualität.

Bei Fermentationstechnologien zur Proteinherstellung unterscheidet man nämlich zwei Prozesse: Single Cell Protein, das auf die schnelle und effiziente Gewinnung proteinreicher Biomasse abzielt, und Präzisionsfermentation, bei der spezifische Inhaltsstoffe – etwa einzelne Aminosäuren – in definierter Qualität erzeugt werden. Der Ansatz ist keineswegs neu: Bereits seit den 1960er Jahren wird auf diese Weise Lysin produziert – eine in der Futtermittelindustrie unverzichtbarer Aminosäure.

In den vergangenen Jahren hat die Branche durch Anwendungen in der Lebensmittelindustrie zusätzlichen Aufwind erhalten. Ende 2023 zählte man weltweit 158 Unternehmen, die sich auf die Herstellung alternativer Proteine durch Fermentation spezialisiert hatten. Im selben Jahr wurden 515 Millionen US-Dollar in diesen Bereich investiert. Auch wenn die Verfahren derzeit noch mit hohen Kosten verbunden sind, zeigt die Branche deutliches Wachstum.

Proteindiversifizierung als Chance für die Landwirtschaft

Trotz mancher Unsicherheiten eröffnet die Vielfalt neuer Proteinquellen auch klare Chancen für die landwirtschaftliche Produktion. Ein klassisches Beispiel stellen Mischkulturen: diese ermöglichen höhere Erträge auf derselben Fläche und bringen gleichzeitig Vorteile für Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität.

Ein weiteres Beispiel sind Leguminosen: als Zwischenfrüchte eingesetzt, verbessern sie die Bodenstruktur und können zusätzliche Einkommensquellen erschließen. Die österreichische Landwirtschaft hat hierbei klare Standortvorteile gegenüber Nachbarländern – unter anderem durch ihr pannonisches Klima mit warmen, trockenen, langen Vegetationsperioden.

Mit der wachsenden Notwendigkeit, die Proteinversorgung zu diversifizieren, steigt auch die Nachfrage nach leguminosenbasierten Lebensmitteln und somit die Möglichkeit auf neue Absatzwege. So lag der Konsum im Jahr 2024 laut Statistik Austria bei 1,4 kg pro Kopf – doppelt so viel wie 2015 (0,7 kg) und fast fünfmal so viel wie 2005 (0,3 kg).

Flächenrückgang trotz wachsendem Bedarf

Trotz dieser positiven Marktentwicklung ist die Anbaufläche von gewissen Leguminosen in Österreich rückläufig. Im Jahr 2024 wurden nur noch 285 Hektar Kichererbse angebaut – 39 % weniger als drei Jahre zuvor. Auch Linsen (1 618 ha) verzeichnen einen Rückgang von 17 %. Im Vergleich ist aber der Anbau von Süßlupinen und Körnererbse um 28,4 % und 41,4% gestiegen.

Umso wichtiger ist es, die hemmenden Faktoren bei Spezialkulturen zu identifizieren und Maßnahmen zu entwickeln, damit die Landwirtschaft von diesem Trend profitieren kann und neue Wertschöpfung entsteht. Gründe können in fehlende Vermarktungsmöglichkeiten, mangelnde Abnahmegarantien sowie unzureichende Verarbeitungskapazitäten – etwa zur Proteinextraktion – liegen.

Innovationsarbeit für landwirtschaftliche Wertschöpfung

Das Thema „Protein“ ist vielschichtig – und gleichzeitig von zentraler Bedeutung. Es geht um die Schließung einer realen Versorgungslücke, um Ernährungssouveränität, Versorgungssicherheit und langfristige Perspektiven für die Landwirtschaft. Trotz klar erkennbarer Trends und zunehmender Nachfrage, scheint es gewisse Hemmungen noch zu geben.

Genau hier setzt Innovationsarbeit an: sie hilft, Hemmnisse zu erkennen, Zusammenhänge besser zu verstehen und neue, tragfähige Wege zu etablieren. Ziel ist es, innovative Lösungen zu entwickeln – und gleichzeitig sicherzustellen, dass die entstehende Wertschöpfung langfristig in der Landwirtschaft verbleibt.

Deshalb richtet das Agro Innovation Lab, der Innovationsarm der RWA, in den kommenden Monaten einen besonderen Fokus auf das Thema Neue Proteine. Dabei verfolgen wir unterschiedliche Ansätze:

  • Pflanzliche Proteine aus klassischem Anbau
  • Biotechnologische Fermentationsprozesse
  • Verwertung von Nebenprodukten
  • Insekten-, Algen- und Pilzproteine als alternative Quellen
  • Radikale Innovationsansätze, wie sie in anderen Weltregionen erprobt werden

 

Von der Theorie zur Praxis

Innovationen entfalten ihren wahren Wert erst dann, wenn sie aus der Theorie heraus in die Praxis überführt werden. Genau hier setzen wir an: Aufbauend auf der Analyse zentraler Herausforderungen und Potenziale im Bereich neuer Proteinquellen starten wir konkrete Pilotprojekte.

 

Verwertung von Nebenprodukten: Verborgene Potenziale heben

Kontext: In nahezu allen Produktionsprozessen – von der Ölpressung über die Bierherstellung bis zur Tomatenverarbeitung – fallen proteinreiche Nebenprodukte an. Viele davon werden bislang nur geringwertig, beispielsweise als Futtermittel) eingesetzt, oder gar entsorgt.

Ziel: Wir identifizieren neue und bestehende Sidestreams und erheben ihr Potenzial für eine hochwertige Weiterverarbeitung. Ziel ist es, neue Verwertungspfade zu erschließen, und höhere oder neue Wertschöpfungsketten zu identifizieren.

Kontakt: c.olivier@agroinnolab.com

Pflanzliche Proteine: Raus aus der Nische

Kontext: Die pflanzenbasierte Proteinversorgung konzentriert sich aktuell stark auf Soja – ein Risiko angesichts von Klimawandel und geopolitischen Abhängigkeiten. Vielversprechende Alternativen wie klassische Leguminosen (etwa Kichererbsen, Erbsen, …) Lupinen oder die alternativen Bohnen stehen bereit, bleiben aber oft in der Nische stecken.

Ziel: Wir setzen bei fehlenden Verarbeitungsstrukturen und Absatzwegen an, um das volle Potenzial alternativer Kulturen zu heben – für eine resilientere und vielfältigere pflanzenbasierte Proteinversorgung.

Kontakt: a.haller@agroinnolab.com

Mischkulturen: Herausforderung Verarbeitung & Nutzung

Kontext: Ein bereits tief erforschtes Thema – Mischkulturen ermöglichen einen höheren Proteingehalt pro Fläche und fördern gleichzeitig Biodiversität sowie Bodengesundheit.

Ziel: Wir widmen uns den praktischen Fragen der Verarbeitung: Wann und wie müssen Kulturen getrennt werden? Wo sind gemeinsame Verarbeitungsschritte möglich? Ziel ist es, Mischkulturen auch in der nachgelagerten Kette wirtschaftlich nutzbar zu machen.

Kontakt: p.waldherr@agroinnolab.com

 

Lust auf Austausch?

Haben Sie Interesse an einem fachlichen Austausch oder bringen bereits eigene Erfahrungen in einem dieser Bereiche mit? Dann freue ich mich auf Ihre Kontaktaufnahme!

[1] europäische Vertretung der europäischen Landwirte und Agrargenossenschaften.